Erwartungen

Muss ich es eigentlich noch schreiben? Sei es drum. Es ist Sonntag und ich wandere in unserem schönen Städtchen. Ich bin durch das Wetter der letzten zwei Tage etwas darauf angewiesen Abstand zu fließenden Gewässern zu halten, da diese über die Ufer getreten sind. Also habe ich mir eine Route abseits der Ruhr gesucht, von Mülheim Selbeck nach Duisburg Großenbaum nach Wedau und über Duisburg Bissigheim wieder nach Mülheim Selbeck. Dazwischen noch eine Runde um den Entenfang. Ein See, der zur Sechs-Seen-Paltte in Duisburg gehört, aber in Mülheim liegt.

Gleich zu Anfang meiner Wanderung muss ich durch hohe Brennnesseln. Das geht ja gut los, denke ich und stürze mich ins unwegsame Abenteuer. Prompt lande ich auf der Rückseite eine Golfanlage und sehe die frühen Golfer ihren Abschlag trainieren. Geschützt durch einen hohen Zaun droht hier weder mir noch der Familie von Rotkelchen, die auf Futtersuche sind, eine Gefahr. Ich umrunde die Driving Range und gehe über kleine Umwege in einen nahe gelegenen Wald. Auf dem Weg dort hin sind links und rechts einige Greens zu sehen und Hinweisschilder weisen dem interessierten Golfer den Weg zum nächsten Tee.

Im Wald selbst herrscht sofort Stille. Nur die Vögel zwitschern ein Lied wie es ihnen gefällt und ich darf kostenlos zuhören. Ach ja, der Wald. Wer hätte ahnen können, dass ich eines Tages so gern hier bin und so viel Zeit hier verbringen würde? Und wenn ich geahnt hätte was es mir bringt, hätte ich bereits vor 20 oder 30 Jahren mit dem Wandern begonnen. Hätte, hätte. Konjunktiv. Das hier und jetzt ist, was wirklich zählt. Und jetzt bin ich hier. Zwischen Laub- und Tannenbäumen, zwischen Baumstümpfen und aufgereiten Holzstämmen. In der Natur allein. Nun ja, nicht ganz allein. Ein Pärchen, etwas älter als ich, kommen mir entgegen. Offensichtlich auch Wanderer, die mich freundlichen Grüßen. Ich grüße zurück und bin wieder allein.

Während ich immer tiefer in den Wald gehe überlege ich, was ich von der heutigen Wanderung erwarte. Ich habe kein richtiges Thema im Gepäck, keine akuten Probleme die aufbereiten werden müssten, und auch sonst nichts worüber ich nachdenken müsste. Ich bin nach wie vor auf der Suche nach meinem Baum, aber das scheint mir unlösbar. Woran erkennt man ihn? Und wie höre ich ihn denn rufen? Da wird TheA wohl nochmal erklären müssen, wie das funktioniert. Also wo war ich stehen geblieben? Ach ja, meine Erwartung an die Wanderung. Das mit den Erwartungen ist ja so eine Sache, denke ich. Sie bestimmen nämlich unser Handeln. Wenn ich also von einem Gespräch erwarte das es schlecht läuft, dann wird es das auch tun. Alles was dafür nötig ist leitet mein Unterbewusstsein schon in die richtigen Bahnen. Ich erwarte also von meiner Wanderung nichts und werde auch nichts erhalten. Wenn ich aber erwarte mich erholen zu können, wird genau das eintreten, wenn ich es zulasse. Und wenn ich erwarte Millionär zu werden?

Ich gerate in einen Gedankenstrudel der sich verselbstständigt. Ich bin mitten in meinem Element, ich denke und gehe und komme in einen meditativen Zustand des Nachdenkens. Ich werde im Wald kein Millionär werden, aber Ideen finden wie ich meinem Ziel näher komme. Zunächst aber die Frage: Und dann? Was wird sich verändern? Ich meine wie wird sich mein Leben verbessern? Was würde ich machen, wenn ich morgen 10 Millionen Euro im Lotto gewinne? Nichts anderes als das, was ich ohnehin vor habe. Ein neues Auto? Hm, ja, aber das verändert nichts, ich habe ja schon eins. Ein Haus? Vielleicht, aber eigentlich wohnen wir schon in einem, auch wenn es nicht uns gehört. Mit Besitz kommt auch nur zusätzliche Verantwortung. Wir besitzen auch so schon mehr als wir brauchen. Also was würde sich ändern? Nichts! Nur der Kontostand. Wir könnten es nicht einmal jemanden erzählen, weil wir sonst plötzlich „Freunde“ hätten, die wir noch gar nicht kennen. Also ist Millionär auch kein erstrebenswertes Ziel, beende ich den Monolog mit mir und nehme wahr, dass ich im Moor angekommen bin.

Das Moor ist wunderschön und gut zu sehen nach dem Regengüssen der letzten Tage. Allerdings nisten jetzt auch sehr viele Mücken hier, die sich gierig auf meine Beine(!) stürzen. Nach wenigen Schritten sind meine Waden quasi schwarz von den vielen Insekten, die mein Blut wollen. Also befreie ich mich von den Plagegeistern und beschleunige meine Schritte. Das führt dazu das jetzt der Dreck hochspritzt und meine Waden wieder schwarz sind. Jetzt jedoch vom Moor, was mir deutlich lieber ist. Als ich wieder auf einen befestigten Weg komme mache ich Rast auf einem Baumstamm, der am Wegesrand liegt und wasche mir die Beine mit meinem Trinkwasser ab. Ich stelle fest, dass mich doch viele Mücken gestochen haben. Überall habe ich rote Punkte an den Beinen und es juckt ganz erbärmlich. Ich befeuchte erneut meine Beine und setze meinen Weg fort. Die Luft kühlt jetzt an den feuchten Stellen etwas und lindert den Juckreiz enorm.

Nach meinem Besuch am Entenfang komme ich erneut an den Golfplatz von heute morgen und bemerke, wie groß das Areal ist. Sicher die Anlage ist kultiviert und schön anzuschauen, der Zutritt aber nur den Mitgliedern erlaubt. So viel Land für eine so kleine Gruppe Menschen. Bedauerlich, was wir in unserer hochintelligenten Gesellschaft aus unserem Wissen und unseren Fähigkeiten machen. Einen Golfplatz für eine Handvoll gut betuchter Menschen. An meinen Auto angekommen fühle ich mich wieder einmal sehr gut. Die Wanderung war teilweise schwierig begehbar und hatte manchmal seinen Tücken, aber ich wurde mit einer wunderschönen Landschaft und einem erholtem Geist belohnt. Danke Natur, dass machst du wirklich gut!

Schreibe einen Kommentar