Denk nach

Habt ihr schon mal einen Baum umarmt? Habt ihr gespürt wie viel Energie dieser verströmt und euch daran aufgeladen? Habt ihr gewusst, dass Bäume uns finden? Das sie uns aussuchen? Ich fang mal vorne an. Sonntag, wandern, ihr kennt das ja schon. Und ich habe immer noch keinen Baum gefunden. „Na ja, dann soll es wohl nicht sein“, denke ich am Abend zuvor. Ich habe mir einen Wanderweg ausgesucht, der vom Duisburger Zoo durch den Duisburger Wald, am Steinbruch um den Entenfang und zurück durch den Wald geht. Rund 21 km Waldweg, dass kann doch nur toll werden. So gestimmt starte ich morgens gegen halb neun am Parkplatz des Zoos. Um diese Uhrzeit ist hier noch nichts los. Die Damen des horizontalen Gewerbes sind weg und die Besucher des Zoos noch nicht da. Ruhe!

Ich gehe in den Wald, der direkt am Parkplatz beginnt. In südlicher Richtung liegt der Steinbruch und ich kann es kaum erwarten die sich daraus gebildeten Teiche zu sehen. Ich habe mir extra eine Wanderhose gekauft damit ich im Moor oder in unwegsamen Gelände nicht wieder so zerstochen werde. Wer mich persönlich kennt fällt jetzt bestimmt vor lachen vom Stuhl. Ja, ich besitze nun eine Wanderhose und hoffe heute in den Nutzen einer solchen zu kommen. Zunächst freue ich mich über die vielen Taschen, in die ich jetzt meine Handy verstauen kann. Dort läuft nämlich die Navigationssoftware, die mir meine Route vorgibt. Super, jetzt brauche ich das blöde Dingen nicht die ganze Zeit in der Hand zu halten. Die Ansage habe ich genau so laut gestellt, dass ich hören kann wenn ich abbiegen muss. Mal sehen ob das so funktioniert.

Kein Mensch treibt sich um diese Uhrzeit im Wald herum und ich genieße die Ruhe. Himmlisch, wo ich doch generell andere erstmal nicht mag. Nach einer halben Stunde wandern trifft mich der Schlag. Ich stehe vor meinem Baum. Ich weiß es einfach, er ist es. Kein wenn und aber. Nicht vielleicht oder vielleicht auch nicht. Er ist es. Er muss es einfach sein. Er ist wunderschön. Riesig! Ein Gigant und mindestens 100 Jahre alt, schätze ich. Respektvoll gehe ich auf ihn zu und begrüße ihn. Ich frage, ob ich ihn berühren darf und strecke meine Hand aus. Es fühlt sich unglaublich an und ich umarme ihn. Es ist als könne ich spüren, wie die Energie durch ihn durchfließt und sie jetzt auch durch mich. Ich spüre einen Baum. Meinen Baum! Nach einer gefühlten Ewigkeit löse ich mich von ihm und danke für seine Aufmerksamkeit. Ich verabschiede mich und merke das mir der Abschied schwer fällt. Ich habe so lange gesucht und möchte nun eigentlich nicht gehen. Aber ich verspreche wieder zu kommen und bin ganz euphorisch aufgeregt für das, was noch vor mir liegt.

Ich gehe jetzt schneller voran, immer in der Erwartung hinter der nächsten Ecke, an der nächsten Abbiegung auf was neues zu stoßen. „Und so ist es auch“, schiesst es mir durch den Kopf. Ich war hier noch nie, alles ist neu für mich. Ich muss durch eine alte Unterführung und entdecke eine Schmiererei, die mir „Denk nach“ zuruft. Seit ich eine beinahe philosophische Nachricht in einer Unterführung entdeckt habe, achte ich auf solche Zeichen. Ich heiße diese Art der Kunst nicht gut, aber wenn sie schon mal da ist sollten wir auch die Chance nutzen daran zu wachsen. „Denk nach“ steht da und beschreibt das, was ich den ganzen Weg bis hierher schon getan habe. Mein Baum beschäftigt mich. Der Kopfmensch in mir hat das Fühlen in Form von Denken übernommen und fragt nach dem warum. Als mir dies bewusst wird, schiebe ich den Gedanken beiseite und fokussiere mich wieder auf das hier und jetzt. Ich komme über einen kleinen Umweg an meinen ersten Teich. Zunächst sehe ich nichts davon, da er dicht bewachsen ist, aber dann stehe ich vor ihm und sehe wie schön die Natur sich ihr Gebiet zurück erobert hat. Wo einst Menschen Sandstein aus dem Wald hauten, ist heute ein Teich. Mit Moosgrünen Blüten übersäht und ein paar Enten die sich dort ihr Frühstück schmecken lassen.

Auf einer alten Trepppenstufe lasse ich mich nieder und schaue den Wasservögeln zu. Die Stille und die Szenerie lädt einfach zum verweilen ein. Einfach zur Ruhe kommen. Je länger ich sitze um so mehr Details nehme ich wahr. Ich entdecke einen Autoreifen, der achtlos in den Teich gerollt wurde. Dort wo ich sitze liegen unzählige Kronenkorken von Bierflaschen rum. Und wieder einmal frage ich mich, warum die Menschen die diesen Ort besuchen, nicht den Müll den sie hergetragen haben wieder mitnehmen können. Die Antwort wird man mir wohl schuldig bleiben, da niemand hier ist den ich fragen könnte. Nach einer Weile setze ich meinen Weg fort. Noch so viel zu entdeckend und nur so wenig Zeit, um es mit den Worten Da Vincis zu sagen. Ich sehe mir einige Steinformationen an, die Zeuge davon sind das hier dereinst schwer gearbeitet wurde. Schon im Mittelalter war der Sandstein das Baumaterial der Stadt. Zuletzt wurden hier Mitte des 19. Jahrhunderts Pflastersteine geschlagen.

Nach 2 Stunden Wanderung komme ich an den Entenfang. Einem See der sehr idyllisch an einem Campingplatz liegt und viele Menschen tagsüber anzieht. Jetzt treffe ich vereinzelte Hundebesitzer und die ersten Spaziergänger. Ich setze mich auf eine Bank am Wasser und mache Rast. Trinken kann ich ja während ich gehe, aber Essen werde ich bewusst zu mir nehmen. Also kaue ich meinen Apfel und schaue mir die Zaungäste an. Zwei Libellen tanzen nahe an der Oberfläche und scheuchen einige Wasserflöhe, die dort ausharren, auf. Weiter draussen sehe ich das erste Ruderboot. Ein kleiner Spatz versucht unweit vom Wasser ein paar der Insekten zu erhaschen. Alle sind beschäftigt und bemerken mich nicht. Es wäre nicht anders, wäre ich nicht hier. Und doch würde ich als Zuschauer fehlen, scheint es mir. Ich räume meine Sachen zusammen und ziehe weiter.

Der restliche Weg setzt sich aus zusammenhangslosen Ideen und Zitaten, die mir im Kopf herumschwirren, zusammen. Es will nichts konkretes entstehen und doch bin ich bester Laune und frohen Mutes. „Die Freude ist überall. Es gilt nur sie zu entdecken!“, dieses Zitat von Konfuzius manifestiert sich in meinen Gedanken und ich muss wieder an meinen Baum denken. Aber auch an die Besucher am See und die Vögel, die über mir zwitschern, die Insekten die auf der Suche nach der nächsten Blüte an mir vorbei sausen. Und ich sehe eine bunte Landschaft vor mir. Ich zücke mein Handy und will einen Schnappschuss machen als sich jemand räuspert und mir ungefragt mitteilt :“Das ist Unkraut!“. Verwirrt schaue ich hinter mich. Ein älterer Herr mit gütigem Gesicht lächelt mich an. Ich frage :“Wenn etwas so wunderschön blüht, wie kann es dann Unkraut sein!“ Jetzt ist er es der irritiert schaut und meint :“Ich mache die Regeln nicht, aber mir gefällt wie Sie denken!“. Er grüßt noch freundlich und geht weiter. Ich vergesse überdies mein eigentliches Vorhaben und genieße noch ein wenig diese bunte Lichtung. Und ich höre das Meer rauschen. Ich weiß das es der Wald ist, der mir vom Wind in den Ästen etwas erzählt, aber es klingt wie das Meer. Ich gebe mich diesem Geräusch hin und gehe den Rest meines Weges.

Ich komme gut gelaunt und wie immer erschöpft, aber doch auch gestärkt, an meinem Auto an. Ich weiß es klingt verrückt, aber wenn ihr im Wald seid und Zeit habt, geht mal bewusst an den Bäumen vorbei. Hört ihre Lieder singen und schaut mal ob einer dabei ist, der euch ruft. Dann geht hin und berührt ihn. Alles was dann passiert kann man nicht mit Worten erklären, sondern nur fühlen. Vielleicht bin ich ein Spinner und will dabei etwas fühlen, vielleicht seid ihr aber auch nur noch nicht bereit euch darauf einzulassen. Probiert es aus und schreibt es mir. Ich halte euch, egal was passiert (oder eben auch nicht), sowieso für verrückt. Schlimmer kann es also nicht werden.

Bleibt Gesund und danke Wald, für diese Lektion und deine Geduld.

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