Auf den Punkt gebracht

Ich probiere gerne neues aus. Also nicht schon immer, erst seit geraumer Zeit. Vielleicht habe ich das Gefühl etwas verpasst zu haben. Vielleicht ist es aber auch meine ungestillte Neugierde. Was auch immer dahinterstecken mag, ich lese viel und wenn es mir sinnvoll erscheint, dann probiere ich es aus. Neulich habe ich gefastet. Einen Tag lang nur Rohkost, ohne dabei die üblichen Gewohnheiten zu vernachlässigen. Das klingt erst mal nicht so aufregend, aber das bedeutet ja auch, kaum Kohlenhydrate, kaum Protein und alles Roh. Keine tierischen Produkte und alles ohne Gewürze. Kein Zucker und nur Wasser den ganzen Tag zu trinken. Auch kein Brot!

Angefangen hat alles damit, dass ich gelesen habe wie die Lehren der Stoa das Leben beeinflussen und sogar verändern können. Neugierig befasste ich mit dem Thema der Entbehrung weil es hier vielfältige Möglichkeiten gibt. So kann man fasten oder auch mal eine Woche lang kalt duschen oder, oder, oder. Kalt duschen? Ja genau. Ich habe in der Woche zuvor sieben Tage lang kalt geduscht. Kein warmes Wasser. Der erste Tag war furchtbar. Sonst gehe ich ins Bad mache die Dusche an und ziehe mich aus. Wenn ich dann unter die Dusche gehe, ist das Wasser bereits schön warm und ich kann mich direkt darunter stellen. An dem Tag war es etwas anders. Also ausgezogen habe ich mich auch, aber ich stand unter der Dusche und habe gezögert, ehe ich das Wasser aufgedreht habe. Dann kam es gefühlt eiskalt niedergeprasselt und ich wollte, einem ersten Reflex folgend, schon zu warm drehen. Aber ich bleib standhaft – stoisch – und ertrug geduldig meinen ersten Schreck. Nach einigen Minuten gewöhnte ich mich an die Temperatur und ich begann wie gewohnt mich einzuseifen und zu duschen. Anschließend hüllte ich mich in mein flauschiges Handtuch und dachte, was für ein Glück ich habe mir aussuchen zu können, ob ich kalt oder warm duschen möchte. Und das ich duschen kann, wann immer ich will.

Das ist der eigentliche Kern der Sache. Es geht nicht darum den Masochisten in sich zu finden und zu befrieden, sondern darum Entbehrung zu lernen und sich über die angenehmen Dinge im Leben zu freuen. Das bewusst machen von alltäglichem. Das unser Glück nicht vom Besitz abhängt, sondern das wir uns über das was wir haben und wie wir leben können erfreuen. Also habe ich sieben Tage täglich kalt geduscht und angefangen, es zu genießen und mich auf die warme dusche zu freuen. Zwischendurch musste ich darüber schmunzeln, dass die Lehrer dieser philophischen Grundsätze in Griechenland gelebt haben und somit in einem Land mit gemässigtem Klima. Bei 30 Grad und mehr ist mir kalt duschen im Urlaub auch egal. Aber hier in Deutschland ist im Spätsommer das Wasser schon ganz schön kalt. Trotzdem habe ich durchgehalten und musste viel darüber nachdenken, wie viele Vorteile mein Leben zu bieten hat.

So ergab es sich, dass ich testen wollte wie sich eine körperliche Entbehrung auf mich auswirkt. Ich wollte einen Tag nur Rohkost essen. Obst, Salat, Gemüse und Nüsse. Mein Tag beginnt also, nach dem aufstehen und warm duschen, mit einem kargen Frühstück in Form eines Apfels. Dazu ein Glas Wasser. So ein Apfel ist ja schon sehr lecker, aber zum Frühstück? Als einzige Nahrungsform? Während sich die Familie die knusprigen Brötchen schmecken lässt? Aber was wäre eine Entbehrung ohne Versuchung? Ich starte also frohen Mutes und etwas hungrig in den Tag. Im laufe des Vormittags esse ich dann ein paar Karotten und gegen Mittag eine Banane. Satt werde ich von all dem nicht, aber das schlimmste Hungergefühl kann ich schon eindämmen. Am frühen Nachmittag esse ich dann eine Kohlrabi, geschält und geschnitten aber roh. Anschließend gehe ich joggen. Es ist Donnerstag und da gehe ich immer joggen. 6 km stehen für heute auf dem Programm und die laufe ich auch, ohne dass ich eine Einschränkung hätte. Als ich nach Hause komme und unter die Dusche gehe, merke ich bereits das mein Körper mir massiv zu verstehen gibt das er Nahrung möchte. Ich höre meinen Magen knurren und fühle auch den Hunger in mir aufsteigen. Ich bereite mir einen großen Salat zum Abendessen vor und freue mich, dass ich trotz der Regeln dieses Tages eine große Auswahl an Nahrungsmitteln zur Verfügung habe.

Obgleich ich an diesem Tag auf die Annehmlichkeiten einer warmen Mahlzeit verzichten muss wird mir bewusst, wie viel Glück ich habe. Ich hatte den ganzen Tag Nahrung wann immer ich wollte und auch die Auswahl war fortwährend groß. Das gibt mir echt zu denken. Da sitze ich und beklage meinen Hunger und habe doch die grosse Wahl an Nahrungsmittel. Hier bin ich den Lehrern meiner Idee weit voraus. Sie mussten fasten aus Armut. Ich leide Hunger, weil ich es mir ausgesucht habe. Trotzdem bewirkt diese Einsicht etwas. Das meine Art zu Leben eben nicht selbstverständlich ist. Das ich Glück habe gerade jetzt und hier zu Leben. Beinahe unbegrenzten Zugang zu Bildung, Nahrung und Trinkwasser. Ich spüre Demut in mir aufsteigen, während mein Magen sich langsam beruhigt. Zum Abend hin suche ich Zerstreuung im TV. Ich möchte mich davon ablenken, dass ich schon wieder bemerke wie sich mein Blutzuckerspiegel senkt. Trotzdem esse ich zu Ende des Films noch ein Handvoll Nüsse, um über die Nacht zu kommen. Doch hier beginnt eine Phase, mit der ich nicht gerechnet habe.

Ich kann nicht schlafen. Ich wälze mich von links nach rechts und zurück und finde keine Ruhe. Mein Magen knurrt und ich merke wie es ist, vor Hunger nicht einschlafen zu können. Aber ich will durchhalten. Ich will wissen wie es sich anfühlt. Ich will die Entbehrung 24 Stunden durchhalten um mir zu beweisen, dass ich es kann. Ich will, ich will, ich will. Ich stehe auf und setze mich ins Wohnzimmer. Ich nehme ein Buch zur Hand und beginne in den Selbstbetrachtungen von Marcus Aurelius zu lesen. Ich lese, denke nach und lese weiter. Gegen 2 Uhr schlafe ich dann halb sitzend ein. Um 6 Uhr klingelt mein Wecker und ich springe aus meinem ungemütlichen Nachtlager etwas gerädert auf. Ich werfe den Backofen an und setze Kaffee auf, ehe ich duschen gehe. Vor meinem Frühstück stelle ich mich auf die Waage und sehe, dass mich der gestrige Tag 1,3 kg Körpergewicht gekostet hat.

Ich genieße mein noch warmes knuspriges Brötchen und meinen heißen Kaffee. Im laufe des Tages stellt mein Körper immer wieder auf den Stress-Modus um, um daran zu erinnern, was ich ihm gestern angetan habe. Mit Nahrung (insbesondere Kohlenhydrate) lässt er sich jedesmal besänftigen. Es soll noch einige Tage dauern, bis ich dann keine Nachwirkungen mehr habe. Ich spüre es beim Sport, bei der Arbeit und auch beim Nichtstun. Ich weiß diese Erfahrungen nun einzuschätzen und werde sie in den folgenden 12 Monaten jeweils wiederholen. Ich möchte mich unbedingt immer wieder erden und daran erinnern, wie gut ich es habe. Ich bin wirklich dankbar, dass der Zufall mich in diese Welt geboren hat!

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