Life is great!

Ich bin frisch gebackener Burnoutberater. Ich habe die Prüfung bestanden und nun eine Lizenz, die mir die Beratung von stressgeplagten Menschen gestattet. Selbstverständlich kann ich auch in Selbsthilfe schulen, was oftmals ein wichtiger Schritt in ein stressresistenteres Leben ist. Im Anschluss an die Prüfung bin ich zum Abbau aller – im Zusammenhang mit der Prüfung entstandenen – Stressfaktoren wandern gegangen. Ohne Thema im Gepäck mache ich mich auf den Weg in Richtung Oberhausen zum Rhein – Herne – Kanal. Nach den ersten Schritten bin ich froh, mich für meine neue Jacke entschieden zu haben. Es ist windig und obwohl es warm ist, ist die Luft sehr feucht.

Schnell erreiche ich die ersten Bäume und atme tief ein. Ich spüre die Lebensenergie, die durch mit durchfließt und freue mich – erstmals wirklich realisierend – das ich meine Prüfung bestanden habe. Es waren harte Tage, die ich mit viel Disziplin vor der Prüfung gemeistert habe. „Nächstes mal fange ich früher an zu lernen“, nehme ich mir vor. Im November folgt ja noch die Prüfung zum Resilienztrainer, die ich ebenfalls auf Anhieb bestehen möchte. Ich bin wieder einmal tief in Gedanken versunken, als ich den ersten Abschnitt eines langen Wanderweges erreiche. Es fühlt sich so gut an, mit sich selbst im Einklang zu sein. Gehen, atmen, denken, alles in Harmonie ohne Wertung der Gedanken oder Gefühle. Nur positive Worte, ohne jede Negierung.

Ich komme an eine Brücke, die mich über die Eisenbahnschienen bringt. Die Brücke hat rechts und links ansteigende Wände aus Stahl, die in den letzten Jahren fragwürdigen Kunstwerken als Leinwand gedient hat. An einer Stelle steht dort in schwarzen Buchstaben „du existierst nur um zu scheitern. also spring du Weichei!“. Ich bleibe stehen. Ich bleibe stehen, weil ich es besser weiß. Ich bleibe stehen, weil ich mir gerade erst bewiesen habe das ich es kann. Ich bleibe stehen, weil ich die Botschaft unfassbar finde. Was, wenn einer weniger Glück im Leben hat als ich? Was, wenn der hier vorbei kommt und diese Worte liesst? Wer wird ihn aufhalten, bevor er dann wirklich springt? Ich habe viele Fragen und niemand ist da, der mir eine Antwort geben könnte. Keiner der mit mir in einen Diskurs gehen würde. Ich stehe hier allein mit meinen Gedanken und mache ein Foto.

Von der Aufforderung lösend ziehe ich weiter. Ändern kann ich hier und jetzt ohnehin nichts und es bringt auch nichts weiter hier zu stehen. „Ich verstehe nicht wie sich ein Mensch dazu aufschwingen kann, eine solch vernichtende Aussage in die Welt zu tragen“, geht es mir durch den Kopf. Einige Menschen verstehen bestimmt, dass es sich hierbei nur um eine Meinung handelt, aber andere fühlen sich in ihrer inneren Haltung bestätigt und verpassen weiter das Leben. Sie wissen nichts vom Glück des Daseins, der Gesundheit und der Liebe. All das bleibt ihnen vielleicht verborgen und verkümmert unbeachtet im inneren. Die schwere meiner Gedanken holt mich zurück in die Realität. Es wird langsam dunkel und in der Ferne sieht man den Regen auf mich zukommen. Ich bin am Kanal angekommen, aber heute werde ich nicht dort wandern.

Ich brauche jetzt Bäume. Ich brauche viel Leben um mich herum und ich komme am Zauberlehrling vorbei in den Gehölzgarten. Es beginnt jetzt tatsächlich zu regnen und ich spüre die ersten Tropfen in meinem Gesicht. Ich fühle wie meine Hände nass werden und schaue mich um. Die Bäume stehen genauso bewegungslos da wie ich. Einige wenige Menschen laufen schnell zu ihren Autos oder suchen Schutz unter einer Baracke. Aber ich bleibe hier inmitten der Bäume im prasselnden Regen stehen und schaue ganz ruhig und gelassen allem treiben zu. Ich bemerke das meine Hose den Wassermassen von oben nicht mehr standhalten kann und wie es kalt an meinen Beinen herunter läuft. Trotzdem mag ich mich nicht bewegen. Es ist als müsste ich mich erst innerlich reinigen. Als müsste ich den Schmutz, den ich gelesen habe, abwaschen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit setze ich mich in Bewegung. Mir wird langsam kalt, obwohl meine Jacke nach wie vor dem Wetter trotzt und mich trocken hält. Ich sehe einen Baum mit riesigen Blättern, der, obwohl er mitten im Regen steht, trocken zu sein scheint. Ich gehe zu ihm und fasse seine Blätter an. Sie sind trocken. Ich sehe wie der Regen nicht an ihnen haften kann und immer wieder, ohne eine Spur zu hinterlassen, ab perlt. „Ich könnte eine Hose aus deinen Blättern gebrauchen“, sage ich lachend und wende mich ab. Gar nicht so blöd, das Wasser mit riesigen Blättern zu fangen und zielgerichtet nach untern auf die Wurzeln tropfen zu lassen. Das sichert das Überleben. Ich gehe etwas schneller, um mich innerlich aufzuwärmen. Ich freue mich, dass das kalte Duschen mich ein wenig gegen solche Widrigkeiten abgehärtet hat und auch das ich trotz des Regens draussen sein kann. Ich bin gesund, fit und habe die mentale Stärke, mich nicht von meinem Weg abbringen zu lassen.

An einem Abzweig entscheide ich mich, nochmals zu der, jetzt wieder in der Nähe befindlichen, Brücke zu gehen. Es ist wie ein innerer Drang. Ich muss nochmal dort hin und nachschauen ob ich etwas übersehen habe. Aber ich komme vergeblich. Die Botschaft bleibt unverändert und ich finde auch keinen weiteren Hinweis auf einen Irrtum. Gerade als ich gehen will entdecke ich im Dämmerlicht des Tages doch endlich erlösende Worte

Ob es hilft?

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